Jahrgang 2002/2003
Modellbahn & Schule: Das Karlsruher Modell im Modell
„Große Firmen, z.B. in der Automobilindustrie, beklagen die schwindenden handwerklichen Fähigkeiten der Schulabgänger. (...) Gerade der Modellbau fördert aufgrund seiner Vielschichtigkeit die motorischen, vor allem die feinmotorischen Fertigkeiten, das logische Denken beim Nachvollziehen von Plänen und die sorgfältige Planung komplexer, sorgfältiger Arbeitsschritte. Darüber hinaus werden auch soziale Fähigkeiten wie z.B. die Teamfähigkeit geschult. Im Laufe der Schulzeit werden so die Grundlagen für einen anschließenden, erfolgreichen Berufseinstieg und die spätere Jobkarriere gelegt.
Da Modellbau von der Grundschule bis in die gymnasiale Oberstufe mit einfachen Mitteln realisierbar ist, kann das Projekt „Modellbau und Schule“ nicht hoch genug eingeschätzt werden. ...“ Falsch geraten, das ist nicht die n-te Begründung von Gerd Kästel für die Arbeit der Modellbahn am APG, sondern O-Ton Monika Hohlmeier, Staatsministerin für Kultus und Unterricht im Freistaate Bayern. Bis zu Anette Schavan in unserem Ländle ist diese Erkenntnis zwar noch nicht durchgedrungen, aber man kann ja mal hoffen...
Eine kurze Rückblende: In den ersten Jahren seit der Aufnahme des Modul-Konzeptes (1996) wurden in rascher, manchmal fast hektischer Folge Strecken- und Bahnhofs-Modulkästen gezimmert, mit Gleisen versehen, elektrisch verschaltet und sofort in Betrieb genommen mit dem Ziel: Möglichst lange Fahrstrecken für den vorbildgerechten Betrieb mit langen Zuggarnituren. Dies führte schon nach kurzer Zeit zu einer großen Ansammlung von Rohbau-Kästen, denn die wesentlich zeitaufwändigere landschaftliche Durchgestaltung wurde nur an wenigen Modulen vollständig zu Ende geführt.
Nachdem die Lagerkapazität für Modulkästen in unserem IG-Keller trotz Einbaus von Hochregalen bald erschöpft war, setzte ein langsamer Umdenkprozess ein, dass eine komplette gestalterische Fertigstellung der bereits zahlreich vorhandenen Module einem weiteren Streckenausbau zunächst vorzuziehen ist. Die Arbeit der IG ist nämlich ein gruppendynamischer Prozess, dessen Ziel vom IG-Leiter zwar vorgegeben werden kann, die Wege dorthin sind aber oft so verschlungen wie die mehrfachen Kehrtunnels auf der Gotthardbahn zwischen Erstfeld und Bellinzona und die Weichen werden im Streckenverlauf öfter mal anders gestellt als vom Lokführer erwartet.
Befördert wurde dieser Umdenkprozess auch durch die Platzbeschränkungen auf der „Faszination Modellbau“ in den Jahren 2002 und 03. Wir mussten mit weniger als der Hälfte der bisherigen Fläche auskommen und beschränkten uns im Wesentlichen auf die Präsentation der landschaftlich fertiggestellten Stücke.
Der größte unvollendete Anlagenteil war seit 1997 der große Hauptbahnhof „Bad Pattberg am Rapp“ geblieben. Zwar betrieblich voll nutzbar, einschließlich des direkt folgenden, sechsgleisigen Schattenbahnhofs, wurden die „Hochgestade“ immer nur provisorisch mit Stadtgebäuden besttickt und boten ansonsten eine gähnend leere Sperrholzplatte als Attraktion, wo die in mehreren Teilschritten aufgebaute Straßenbahnstrecke ohne baulichen Hintergrund recht einsam und mit ihrer hohen Betriebsdichte deplatziert wirkte.
Nun gebe ich gerne zu, dass die Straßenbahnstrecke auf unserer Modulanlage „mein Kind“ ist. Als gebürtiger Karlsruher aus der Südstadt habe ich die Straßenbahn quasi wie die Muttermilch eingesogen und damit stand schon bald fest, dass auch auf unserer Anlage eine Straßenbahnstrecke eingerichtet werden würde. Dazu kam noch die Ankündigung der Firma Roco - unseres Hauptsponsors - das Innovations-Vorzeigestück des „Karlsruher Modells“, den „Zweisystemwagen“ auch im Modell realisieren zu wollen und last but not least das unverhoffte „fast-Geschenk“ eines weitgehend fertiggestellten Straßenbahn-Betriebshof-Moduls, für das ein befreundeter Modellbahner keinen Platz mehr hatte. So begann ab dem Jahre 1998 die lange Story der Integration der Straßenbahn in unser Hbf.-Modul, verbunden mit der Installation einer Straßenbahn/Vollbahn-Verknüpfung wie in der Fächerstadt beim Vorbild so erfolgreich.
Betrieblich ergab sich dabei das Problem, dass sowohl von der Vollbahnstrecke im Hauptbahnhof als auch vom Betriebshof der Straßenbahn her ein Höhenunterschied von 15 cm zu überwinden war. Im ersten Falle legten wir eine langgezogene. „U-Bahn-Rampenstrecke“ (incl. Haltestelle mit „Fenster“) an, beim Übergang vom Depot hinauf zum Hbf.-Vorplatz blieb nur der Weg eines engen, doppelgleisigen Wendels mit ca. 60cm Durchmesser. Diesen wollten wir später als zylinderförmiges „Parkhaus“ verkleiden. Auf der ersten Präsentation der Strecke im Rohbau im Jahre 1999 erwies sich jedoch gerade dieses Teil als echter „Hingucker“, der die Besucher auf der „Faszination Modellbau“ in Sinsheim ungemein faszinierte, besonders wenn berg- und talfahrende Straßen- und Stadtbahnzüge einander begegneten. Deshalb beschlossen wir spontan, den Wendel offen zu lassen.
Den intensivsten Schub bekam die Straßen-/Stadtbahnstrecke aber erst, als sich Innovator-Oldie Sven Zänger (Abi 1995 und noch immer IG-aktiv!) des Projektes annahm und Markus von Nauman (Abi 1994) in seiner bekannt akkuraten Weise das dazugehörige Schaltpult baute. Für Sven sprang dabei noch ein Seminarschein bei Prof. Dr. Auth an der Fachhochschule Heilbronn heraus. Die „Abnahmeprüfung“ durch den Herrn Professor und seinen Assistenten fand am 31. Januar 2003 im Modellbahnkeller statt und die zuverlässig funktionierende Schaltung konnten wir mit einem halben Dutzend Straßen- und Stadtbahntriebwagen im März 2003 einem interessierten Publikum und den Herren der Firma Roco präsentieren. Unseres Wissens ist es das erste Mal, dass das „Karlsruher Modell“ erfolgreich ins Modell umgesetzt wurde. Bei uns sogar - rechnergestützt - alternativ auch vollautomatisch. Straßen- und Stadtbahnen fahren auf drei verschiedenen Linien, wobei sie ihre Fahrwege (Weichen, Richtungswechsel) rechnergestützt jeweils selbst stellen. Die dazu notwendige Hard- und Software hierfür hat Sven Zänger bereitgestellt. Hier böte sich für die Zukunft ein weiteres Feld der IG-Arbeit: Programme schreiben für den rechnergesteuerten Betrieb unserer Anlage. Im Moment fährt nur das „Karlsruher Modell“ so auf unserer Anlage. Andere Bereiche wie z.B. der Container-Terminal wären ebenfalls rechnergesteuert zu betreiben.
Exkurs (für alle „Nicht-Bahner“): Der Kern des „Karlsruher Modells“ besteht darin, dass die Stadtbahn die Fahrgäste dort abholt, wo sie wohnen, also in den Schlafstädten im Umkreis der Großstadt und sie umsteigefrei in modernen Fahrzeugen in die Fächerstadt bringt. In der Stadt fährt diese Bahn auf den Gleisen der Straßenbahn, im Umland meist auf denen der DB, der problemlose Übergang vom einen wird durch den Zweisystem-Stadtbahnwagen möglich, der sowohl mit Gleich- als auch mit Wechselstrom betrieben werden kann und an den Verknüpfungsstellen vom Vollbahn- auf das Straßenbahnsystem übergehen kann, ohne dass der Fahrgast davon überhaupt etwas bemerkt. Die Fahrgastzahlen im Karlsruher Nahverkehr haben sich seit 1992 in ungeahnte Höhen entwickelt, die Anzahl der innovativen Zweisystem-Fahrzeuge hat mittlerweile 100 erreicht und alle paar Monate kommen neue Strecken hinzu, zuletzt am 5. Oktober 03 die Stadtstrecke in Bad Wildbad im Schwarzwald. Das überaus erfolgreiche Karlsruher Modell leistet somit einen nachhaltigen Beitrag zur Begrenzung des Individualverkehrs.
Zurück zur IG-Arbeit am APG: Im Frühsommer 2002 folgten wir einer Einladung des Bürgermeisters von Siegelsbach und stellten große Teile unserer Anlage zusammen mit den Eisenbahn-Freunden Heidelberg im Bürgersaal des Rathauses aus. Den Rahmen für diese Präsentation bot das Jubiläum der SWEG-Bahnstrecke Neckarbischofsheim-Hüffenhardt. Eine weitere, „außerschulische“ Präsentation boten wir Anfang April dieses Jahres im ehemaligen Pattberg-Restaurant: Die Ausstellung „Mosbach-Neckarelz LIVE“ ermöglichte uns den Betrieb fast der gesamten Anlage in diesem großen Raum. Wir hatten eine große „Breitenwirkung“, denn viele Besucher aus dem Elzmündungsraum sahen das Ergebnis unseres Schaffens erstmalig. Vorausgegangen war diesem Ereignis ein Schüler-Projekt „Modelleisenbahn“ am APG, das von den IG-Mitgliedern Jonathan Lubach, Christoph Dörr und dem Chronisten ausgerichtet wurde. Unter schwierigen Bedingungen gelang es uns, auch mit der doppelten Anzahl der ursprünglich angemeldeten Schülerinnen & Schüler zurechtzukommen. Der erhoffte „Mitnahme-Effekt“ der Nachwuchswerbung stellte sich jedoch nur in sehr geringem Maße ein. Und damit sind wir an einem kritischen Punkt: Einerseits haben wir für den Bau unserer Modulanlage am APG nahezu ideale Bedingungen: Einen geräumigen Kellerraum nur für uns und eine gute Ausstattung mit Werkzeugen, dank großzügiger Sponsoren und eigener Aktivitäten ist zusammen mit unseren Mitgliedsbeiträgen auch eine ausreichende Finanzdecke vorhanden, um Bau- und Landschaftsmaterialien beschaffen zu können. Unser Betriebspark an Modellbahnfahrzeugen hat mittlerweile ein beachtliches Ausmaß erreicht, zwei Dutzend Zuggarnituren und noch mehr Triebfahrzeuge können wir inzwischen unser Eigen nennen. Diese stellen einen beträchtlichen Wert dar, den wir uns selbst geschaffen haben!
Die erhofften neuen Mitglieder stellen sich andererseits aber nur sehr zögerlich ein. Eine Werbeaktion mit Info-Blättern und Durchsagen an alle Klassen von 7-11 verpuffte zu Beginn dieses Schuljahres ohne Resonanz. Von den 28 Teilnehmern am Modellbahnprojekt im April bekundeten vier zunächst ihr Interesse an der IG, konkret mit macht seit Beginn des Schuljahres 2003/04 gerade mal eine (!) neue Teilnehmerin. Der im Frühjahr 02 gestartete Versuch, eine „Mädchengruppe“ aus der 6.Klasse zu bilden, endete nach zunächst hoffnungsvollem Start nach den Sommerferien. Danach hatte nur eine Schülerin Lust, sich weiter zu engagieren. Am mangelnden Bastelerfolg kann es nicht gelegen haben, die meisten Mädchen zeigten beachtliches Geschick im mikromotorischen Bereich, doch war's wohl nichts mit der Ausdauer... In den Vorjahren versuchten wir es mit einer klassenweisen Weihnachts-Vorführung der Anlage; wir informierten an der AG-Anschlagtafel und hängten eine Liste zum Eintragen aus. Resultat: Irgendwelche Witzbolde trugen die Namen von Schülern ein, denen sie einen Streich spielen wollten. Jedenfalls blieb auch dieser Versuch erfolglos.
Seltsamerweise stoßen dann trotzdem immer wieder ganz überraschend Neulinge zu uns, so im letzten Schuljahr zwei Schüler der RS Obrigheim, je ein Schüler des APG und der APH und zwei Mädchen vom APG. Es geschehen immer wieder merkwürdige Dinge auf dieser Welt. Warum aber der direkte Weg der Ansprache unserer Schülerinnen und Schüler am APG so schlecht funktioniert, ist mir ein Rätsel. Deshalb seien auch an dieser Stelle alle Schülerinnen & Schüler, die ein interessantes polytechnisches Hobby kennen lernen möchten, herzlich eingeladen, doch einmal unverbindlich bei uns vorbei zu schauen. Wir treffen uns jeden Freitag von 17-20 Uhr zum Bauen im Modellbahnkeller des APG, hinter dem Kraftraum der Fechter.
Die Mitglieder der IG Technik/Modellbahn. Stand: 31.10.03: Michael André, Robert Heck, Sonja Karl, Marvin Keil, Jonathan Lubach, Vanessa Weiß, Dominik Wille (APG); Sven Schifferdecker (APH), Marius Breunig, Julian Karl (RSO), Christoph Dörr, Markus v. Nauman, Sven Zänger („Ehemalige“), Herwig Lichtenstern OStR (ehem. Kollege am APG). Gerd Kästel OStR (organisatorische Leitung).
Gerd Kästel